Das Verrückte ist, dass Dixie Dörner bei dem, was – zumindest in der ehemaligen BRD – als das Glanzstück des DDR-Fußballs galt, gar nicht dabei war. Als Jürgen Sparwasser beim 1:0 in der Vorrunde der Weltmeisterschaft 1974 dem Klassenfeind einen einschenkte, saß Dörner zu Hause in Dresden. Die Nachwirkungen einer Gelbsucht hatten seine WM-Teilnahme verhindert, außerdem war der Dresdner Libero, damals gerade 23 Jahre alt, noch nicht die prägende Figur im Spiel des DDR-Teams, die er später wurde. Nationaltrainer Georg Buschner hatte anfangs seine Probleme mit dem fußballerischen Feingeist, der ihm zu sehr „Bruder Leichtfuß“ war. Klare Bälle wollte Buschner. Doch die waren nicht Dörners Tasse Tee.
Letztendlich kam aber auch der auf einen athletischen Fußball fixierte DDR-Coach nicht an so viel fußballerischer Klasse vorbei. Dixie Dörners Stern ging dann zwei Jahre später auf, beim Fußballturnier der Olympischen Spiele in Montreal. Ein Wettbewerb, der im Westen eher naserümpfend betrachtet wurde, in einer Mischung aus Trotz – weil sich die Bundesrepublik nicht qualifiziert hatte – und aufrichtigem Desinteresse gegenüber dem mit osteuropäischen „Staatsamateuren“ (West-Jargon) bevölkerten Turnier. In Wahrheit waren dort phantastische Spieler am Start, Oleg Blochin für die Sowjetunion, der junge Michel Platini bei den Franzosen, Luis Arconada mit Spanien.
Und eine junge DDR-Mannschaft, bei der nunmehr Dörner der Chef im Ring war, noch dazu ein verdammt torgefährlicher. In der Torschützenliste des Olympiaturniers wird er auf Platz zwei geführt, hinter dem Polen Szarmach und vor Platini. Vier Tore in fünf Spielen, als sogenannter „Letzter Mann“. Wahnsinn. Als das von ihm angeführte Team ins Rollen kam, war es nicht mehr aufzuhalten. Durch ein 3:1 im Finale gegen Polen gewann die DDR Olympisches Gold – und Dixie, der Libero, genoss fortan auch in der Nationalelf den Status, den er zu Hause in Dresden längst hatte.
Mehr ging nicht
Bei Dynamo hatte Hans-Jürgen Dörner, den alle „Dixie“ nannten, seit seine älteren Brüder damit angefangen hatten, bereits mit 17 Jahren debütiert. Zuerst war er Mittelstürmer, bald Abwehrchef, indes beileibe nicht die seinerzeit handelsübliche Version des schnöden Ausputzers, sondern das genaue Gegenteil. „Dixie brachte Eleganz ins Spiel“, hat Peter Ducke, der Stürmerstar des FC Carl Zeiss Jena, vor Jahren in einem gemeinsamen 11FREUNDE-Interview mit Dörner gesagt. „Ich habe ihn praktisch nie im Zweikampf erlebt und mich stets gefragt, warum an den nie einer rankommt.“
Der so Gepriesene war ein Spielertyp, der an einen ganz ähnlichen im Westen erinnerte, und so war es kein Zufall, dass er von den dortigen Boulevardmedien anlässlich der epischen Europapokalduelle zwischen Dynamo Dresden und dem FC Bayern den Spitznamen „Beckenbauer des Ostens“ bekam. Dörner war kurz geschmeichelt, alsbald genervt, weil er merkte, dass der Name nur als abwertender Komparativ zum großen Kaiser gemeint war. Sie hätten auch „Beckenbauer für Arme“ schreiben können. Das hatte einer wie Dixie nicht nötig, er war sich selbst genug. Am Ende seiner achtzehn Jahre währenden Karriere hatte er fünfmal die Oberliga-Meisterschaft und ebenso oft den FDGB-Pokal gewonnen, hundert Länderspiele absolviert und war dreimal zum DDR-Fußballer des Jahres gekürt worden. Mehr ging nicht.

Blumenmeer im Rudolf-Harbig-Stadion
Als es kurz nach seiner aktiven Karriere mit dem Staat, in dem er gelebt und Fußball gespielt hatte, zu Ende ging, stellte sich für Dixie Dörner die Frage, was er mit der zweiten Hälfte seines Lebens anfangen sollte. Er wagte den gesamtdeutschen Spagat, allerdings mit mäßigem Erfolg. Nach ein paar Jahren als Nachwuchscoach beim DFB wurde Dörner Cheftrainer bei Werder Bremen.
Obwohl die Bilanz seiner gut anderthalbjährigen Amtszeit (Platz neun und acht in der Bundesliga) aus heutiger Bremer Perspektive geradezu euphorisch ausfällt, wurde man bei Werder nicht glücklich mit ihm – und umgekehrt auch nicht. Dörner kehrte zurück auf die heimische Scholle, blieb eine Ikone des Ostfußballs und saß zuletzt im Aufsichtsrat von Dynamo Dresden. Als er kurz vor seinem 71.Geburtstag starb, ertrank das Rudolf-Harbig-Stadion in einem Blumenmeer. Dort wissen sie, was sie an Dixie hatten.
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