Das ewige Kind - Die Psyche des Lothar M. 11FREUNDE

October 2024 · 4 minute read

Manchmal spreche ich zuviel.“ (Lothar Mat­thäus)

Vor 10 Jahren, im Sommer 1997, erschien eines der ein­fäl­tigsten Fuß­ball­bü­cher, die je auf den Markt gebracht wurden: Mein Tage­buch“ von Lothar Mat­thäus, auch Loddar“ genannt. Der Autor, hoch­de­ko­rierter Welt­fuß­baller“ und deut­scher Rekord­na­tio­nal­spieler, war damals 36 Jahre alt und seit 18 Jahren dabei“, also die Hälfte seines Lebens. Wer Fuß­ball zum Beruf macht, erwirbt die Lizenz, unge­wöhn­lich lange Kind bleiben zu dürfen, schon allein wegen der Spiel­freude, die nicht ver­siegen darf, also min­des­tens bis ans Kar­rie­re­ende, viel­leicht sogar ein Leben lang. Lothar Mat­thäus, so scheint es heute, hat die Rolle des ewigen Kindes ange­nommen.

Sein Tage­buch“ umfasst die Saison 96/97, begin­nend mit dem 12. Juli 1996, endend mit dem 1. Juni 1997. Lothar Mat­thäus leidet wie ein Hund dar­unter, dass die Fuß­ball­welt nicht mehr in Ord­nung ist. Überall Krach und Zwie­tracht. In Dort­mund, beim BVB, brennt es lich­terloh unterm Dach“, in Stutt­gart, beim VfB, brennt auch etwas, näm­lich der Baum“, und daheim in Mün­chen lauern feige Hecken­schützen im Busch“: Man redet hinter seinem Rücken schlecht über Lothar Mat­thäus. Man hängt ihm Dinge an, die er nie und nimmer“ (eine seiner oft wie­der­holten For­meln) getan hat, z. B. den Verrat von Mann­schafts­in­ternas“ an die feind­liche Presse. Wer Lothar Mat­thäus kennt“, schreibt er, der weiß, dass ein Lothar Mat­thäus so etwas nicht auf sich sitzen lassen kann.“ – Loddar spricht gern und oft in der dritten Person über sich.

Der Frieden von New York“ und das Gip­fel­treffen von Düs­sel­dorf“

So sehr einer­seits die Fuß­ball­welt in Unord­nung ist, so klar weiß der Autor ande­rer­seits, wie man Har­monie und Frieden wieder her­stellen kann. Im Berichts­zeit­raum seines Tage­buchs ist Mat­thäus der Mit­tel­punkt zweier frie­dens­po­li­ti­scher Groß­ereig­nisse. Lücken­haft infor­mierten Lesern sei auf die Sprünge geholfen: Der Frieden von New York“ und das Gip­fel­treffen von Düs­sel­dorf“ sind gemeint. Man wird der­einst mit glei­cher Ver­klä­rung davon spre­chen wie vom West­fä­li­schen Frieden“ und dem Wunder von Bern“.

Am 13. Juli 1996 kommt es im New Yorker She­raton-Hotel zum Frieden von New York“. Die zer­strit­tenen Ver­eins­ka­me­raden Lothar Mat­thäus („Der Tor­mi­nator“) und Jürgen Klins­mann („Die blonde Lade­hem­mung“, seit zehn Spielen ohne Tor) geben sich nach ein­stün­diger und brutal offener“ Aus­sprache die Hand und ver­tragen sich wieder. Am 19. 11. 1996 findet das Gip­fel­treffen von Düs­sel­dorf“ statt. Dabei geben sich die zer­strit­tenen Giganten des deut­schen Fuß­balls, Hans-Hubert Vogts („Der Ter­rier“) und Lothar Mat­thäus (s. o.) die Hand und ver­tragen sich wieder. Beide Male zeigen deut­sche Männer der Welt­öf­fent­lich­keit, wie Strei­tig­keiten unter deut­schen Män­nern beendet werden: Man spricht sich scho­nungslos aus, sieht sich dabei gera­deaus in die Augen und gibt sich abschlie­ßend die Hand.

Lothar im Ver­söh­nungs­wahn

Loddar hat es inzwi­schen geschafft, sich mit dem gesamten deut­schen Fuß­ball erst anzu­legen, dann aus­zu­spre­chen und schluss­end­lich zu ver­söhnen, ange­fangen vom Prä­si­denten des DFB bis hin zum Zeug­wart des FC Bayern. Sollte mal kein Anlass gegeben sein, um sich aus­spre­chen und ver­söhnen zu müssen, schafft sich Lothar Mat­thäus den Anlass ganz ein­fach: Er gibt ein Inter­view. In aller Regel erscheinen dann in Presse, Funk und Fern­sehen üble Ver­dre­hungen, aus dem Zusam­men­hang geris­senes Zeugs, Sätze, die Loddar nie und nimmer“ gesagt hat und die ihn maßlos erregen, so dass es zu unüber­legten Äuße­rungen kommt. Und schon bieten sich mas­sen­haft Anlässe, um sich aus­zu­spre­chen und zu ver­söhnen.

Im Juni 2007 hat sich Co-Trainer Mat­thäus in Salz­burg mit Chef­trainer Tra­pat­toni über­worfen, obwohl man gerade erst mit den Red Bulls den Meister-Titel errungen hatte und alles in Butter zu sein schien. Das Tisch­tuch zwi­schen uns ist zer­schnitten“, gab Mat­thäus der Presse zu Pro­to­koll. Jetzt wissen wir auch warum. Um Mat­thäus war es in letzter Zeit arg ruhig geworden. Er spielte nur die zweite Geige hinter Tra­pat­toni. Darum musste ein Anlass her, damit Loddar end­lich wieder seine alten Stärken aus­spielen kann. Denn im Aus­spre­chen und Ver­söhnen kann ihm nie­mand das Wasser rei­chen, auch der alte Trap nicht. Also freuen wir uns schon darauf, dass bald der nuss­kna­cker­ge­sich­tige Tor­mi­nator“ und der fein­herbe Maestro“ vor die Kameras treten und den Frieden von Mai­land“ ver­künden.

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