
„Manchmal spreche ich zuviel.“ (Lothar Matthäus)
Vor 10 Jahren, im Sommer 1997, erschien eines der einfältigsten Fußballbücher, die je auf den Markt gebracht wurden: „Mein Tagebuch“ von Lothar Matthäus, auch „Loddar“ genannt. Der Autor, hochdekorierter „Weltfußballer“ und deutscher Rekordnationalspieler, war damals 36 Jahre alt und seit 18 Jahren „dabei“, also die Hälfte seines Lebens. Wer Fußball zum Beruf macht, erwirbt die Lizenz, ungewöhnlich lange Kind bleiben zu dürfen, schon allein wegen der Spielfreude, die nicht versiegen darf, also mindestens bis ans Karriereende, vielleicht sogar ein Leben lang. Lothar Matthäus, so scheint es heute, hat die Rolle des ewigen Kindes angenommen.
Sein „Tagebuch“ umfasst die Saison 96/97, beginnend mit dem 12. Juli 1996, endend mit dem 1. Juni 1997. Lothar Matthäus leidet wie ein Hund darunter, dass die Fußballwelt nicht mehr in Ordnung ist. Überall Krach und Zwietracht. In Dortmund, beim BVB, brennt es „lichterloh unterm Dach“, in Stuttgart, beim VfB, brennt auch etwas, nämlich „der Baum“, und daheim in München lauern feige „Heckenschützen im Busch“: Man redet hinter seinem Rücken schlecht über Lothar Matthäus. Man hängt ihm Dinge an, die er „nie und nimmer“ (eine seiner oft wiederholten Formeln) getan hat, z. B. den Verrat von „Mannschaftsinternas“ an die feindliche Presse. „Wer Lothar Matthäus kennt“, schreibt er, „der weiß, dass ein Lothar Matthäus so etwas nicht auf sich sitzen lassen kann.“ – Loddar spricht gern und oft in der dritten Person über sich.
Der „Frieden von New York“ und das „Gipfeltreffen von Düsseldorf“
So sehr einerseits die Fußballwelt in Unordnung ist, so klar weiß der Autor andererseits, wie man Harmonie und Frieden wieder herstellen kann. Im Berichtszeitraum seines Tagebuchs ist Matthäus der Mittelpunkt zweier friedenspolitischer Großereignisse. Lückenhaft informierten Lesern sei auf die Sprünge geholfen: Der „Frieden von New York“ und das „Gipfeltreffen von Düsseldorf“ sind gemeint. Man wird dereinst mit gleicher Verklärung davon sprechen wie vom „Westfälischen Frieden“ und dem „Wunder von Bern“.
Am 13. Juli 1996 kommt es im New Yorker Sheraton-Hotel zum „Frieden von New York“. Die zerstrittenen Vereinskameraden Lothar Matthäus („Der Torminator“) und Jürgen Klinsmann („Die blonde Ladehemmung“, seit zehn Spielen ohne Tor) geben sich nach einstündiger und „brutal offener“ Aussprache die Hand und vertragen sich wieder. Am 19. 11. 1996 findet das „Gipfeltreffen von Düsseldorf“ statt. Dabei geben sich die zerstrittenen Giganten des deutschen Fußballs, Hans-Hubert Vogts („Der Terrier“) und Lothar Matthäus (s. o.) die Hand und vertragen sich wieder. Beide Male zeigen deutsche Männer der Weltöffentlichkeit, wie Streitigkeiten unter deutschen Männern beendet werden: Man spricht sich schonungslos aus, sieht sich dabei geradeaus in die Augen und gibt sich abschließend die Hand.
Lothar im Versöhnungswahn
Loddar hat es inzwischen geschafft, sich mit dem gesamten deutschen Fußball erst anzulegen, dann auszusprechen und schlussendlich zu versöhnen, angefangen vom Präsidenten des DFB bis hin zum Zeugwart des FC Bayern. Sollte mal kein Anlass gegeben sein, um sich aussprechen und versöhnen zu müssen, schafft sich Lothar Matthäus den Anlass ganz einfach: Er gibt ein Interview. In aller Regel erscheinen dann in Presse, Funk und Fernsehen üble Verdrehungen, aus dem Zusammenhang gerissenes Zeugs, Sätze, die Loddar „nie und nimmer“ gesagt hat und die ihn maßlos erregen, so dass es zu unüberlegten Äußerungen kommt. Und schon bieten sich massenhaft Anlässe, um sich auszusprechen und zu versöhnen.
Im Juni 2007 hat sich Co-Trainer Matthäus in Salzburg mit Cheftrainer Trapattoni überworfen, obwohl man gerade erst mit den Red Bulls den Meister-Titel errungen hatte und alles in Butter zu sein schien. „Das Tischtuch zwischen uns ist zerschnitten“, gab Matthäus der Presse zu Protokoll. Jetzt wissen wir auch warum. Um Matthäus war es in letzter Zeit arg ruhig geworden. Er spielte nur die zweite Geige hinter Trapattoni. Darum musste ein Anlass her, damit Loddar endlich wieder seine alten Stärken ausspielen kann. Denn im Aussprechen und Versöhnen kann ihm niemand das Wasser reichen, auch der alte Trap nicht. Also freuen wir uns schon darauf, dass bald der nussknackergesichtige „Torminator“ und der feinherbe „Maestro“ vor die Kameras treten und den „Frieden von Mailand“ verkünden.
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