Diese Reportage stammt aus 11FREUNDE #210, die im April 2019 erschien.
In der Nacht des 3. Oktober 1999 war Patrick Thürmer auf dem Heimweg von einem Musikfestival, als er im sächsischen Hohenstein-Ernstthal von drei Männern überfallen wurde. Sie machten damals in ihrem Auto Jagd auf Punks. Mit einem Axtstiel und einem Billardqueue fügten sie dem schmächtigen Malerlehrling aus Chemnitz tödliche Kopfverletzungen zu. Erst am nächsten Morgen fanden ihn Passanten. Am 10. März 2019 wäre Patrick Thürmer 37 Jahre alt geworden.
Einen Tag zuvor, am 9. März 2019, erheben sich im Chemnitzer Stadion an der Gellertstraße 4000 Menschen zu einer Schweigeminute. Im Hintergrund läuft Musik aus dem Film „Gladiator“, die Ultras rollen ein Transparent mit einem Kreuz aus. Aber sie gedenken nicht Thürmers. Sie trauern um einen Fan, der unter der Woche an Krebs gestorben ist. Sein Name: Thomas Haller. Gründer der Gruppe „HooNaRa“, kurz für „Hooligans, Nazis, Rassisten“, von der mindestens ein Mitglied in jener Oktobernacht 1999 an der Jagd auf Thürmer beteiligt war. Aber nicht nur die Fans huldigen Haller, auch Vereinsmitarbeiter und Spieler. Der Stadionsprecher verliest einen Text, und als Stürmer Daniel Frahn später im Spiel gegen Altglienicke ein Tor erzielt, hält er der Südkurve ein T‑Shirt mit der Aufschrift „Support your local Hools“ entgegen.
In den Tagen danach stellen sich viele Beobachter die Frage, warum in einem Stadion offen eines Nazis gedacht wird. Die Tagesthemen berichten über den Vorfall, und die „Zeit“ titelt „Wieder Chemnitz“, denn schon ein halbes Jahr zuvor war die Stadt Schauplatz von rechten Ausschreitungen gewesen. Im August 2018 wurde ein Deutsch-Kubaner auf dem Stadtfest erstochen, mutmaßlich von einem Iraker. Danach mobilisierte die CFC-Gruppe „Kaotic“ zu Demonstrationen, die in Hetzjagden auf Migranten mündeten.
Aber warum passiert so etwas immer wieder in Chemnitz? Wieso haben Vorfälle dieser Art Tradition beim CFC? Und unternimmt eigentlich jemand etwas dagegen? Darüber möchte 11FREUNDE mit den Klubverantwortlichen reden. Aber der CFC blockt erst einmal ab. Wagenburg statt Auseinandersetzung. Also beginnt die Reise nach rechts unten woanders, bei den Fans, die unter Haller und seiner Entourage leiden mussten und lange geschwiegen haben. Sie führt zurück bis in die Wendezeit. Und man kann jetzt schon sagen: Sie hat kein Happy End.
„Es war normal, sie im Stadion zu sehen. Ihre Brutalität war legendär.“
Max und Franz sind zwei langjährige CFC-Fans. Eigentlich heißen sie anders, aber sie wollen anonym bleiben. Vor über zwanzig Jahren haben sie hautnah mitbekommen, wie die „HooNaRa“ beim CFC ein Klima der Angst etablierte, das bis heute nachwirkt. Zwei Tage nach dem Spiel gegen Altglienicke veröffentlichen die beiden in einem Fanblog einen Text: „Das war nicht irgendeine Trauerfeier für einen Anhänger des CFC“, schreiben sie. „Das war viel mehr, und keiner kann sich davon frei machen, nichts gewusst zu haben.“
Ende der Neunziger, sagt Max, habe er Haller und seine Leute zum ersten Mal bei Heimspielen wahrgenommen. Damals stellte der Hooligan, ein gelernter Fleischer, mit seiner Firma „Haller Security“ den Ordnerdienst. „Immer die fettesten und abstoßendsten Typen mit Runenschrift und eindeutiger Gesinnung“, sagt Max. „Es war normal, sie im Stadion zu sehen. Ihre Brutalität war legendär.“ Ein paar Mal haben sie auch ihn verprügelt. „Vermutlich waren wir Normalos ihre Aufbaugegner.“ Max’ Bruder, damals Punk und ebenfalls Anhänger des Vereins, verlor bald die Lust, neben solchen Typen eine Fußballmannschaft anzufeuern. Max aber ging weiter ins Stadion, anfangs ins Sportforum, dann in die Gellertstraße, willkommen fühlte er sich nur selten. „Die mussten gar nicht direkt drohen, ihre Präsenz reichte“, sagt er. Und dann fallen zwei Sätze, die man so oder ähnlich bei den Recherchen häufiger hört: „Haller und seine Truppe konnten schalten und walten, weil der Ostbürger eher zum Stillhalten erzogen worden war“, sagt Max, und sein Kumpel Franz ergänzt: „Viele wollten nach der Wende mit Politik nichts mehr zu tun haben.“
Eine erste Vorstellung, was die beiden damit meinen, bekommt man vier Tage nach dem Eklat. Chemnitz tritt beim BFC Dynamo an. Es ist einer der ungemütlichsten Tage des Jahres, Regen fegt schräg über die Tribüne des Berliner Jahnsportparks. Nach 90 Minuten steht es 2:1 für die Berliner, eine kleine Überraschung, denn Chemnitz hat bislang die Regionalliga Nordost dominiert. Auf der Pressekonferenz fragt man also, ob die Geschehnisse der letzten Tage die Spieler belastet haben. Prompt entsteht Unruhe im Saal. Breitschultrige Männer raunen von der Seite: „Warum politisiert ihr alles?“ Einer zischt: „Was soll diese Idiotenfrage?“ Es ist nur eine Momentaufnahme, aber sie sagt einiges darüber aus, wie viele Fußballvereine, nicht nur der Chemnitzer FC, mit konfliktträchtigen Themen umgehen. Die Devise lautet auch hier: Stillhalten. Denn Fußball ist Fußball, sagen sie, und Politik ist Politik.

Einen Tag darauf äußern sich die führenden Mitarbeiter des CFC auf einer denkwürdigen Pressekonferenz doch. Klaus Siemon, seit Frühjahr 2018 Insolvenzverwalter bei den finanziell gebeutelten Chemnitzern, erklärt, dass der Klub von Teilen der Fanszene erpresst worden sei. An den Geschehnissen beim Spiel gegen Altglienicke trage der Verein demnach keine Schuld. Auf kritische Nachfragen des MDR reagiert Siemon genervt. Er möchte hier und jetzt einen Schlussstrich ziehen. Zurück zum Sport. Aber das ist nicht so einfach, denn seine Bedrohungsthese steht auf wackeligen Füßen. Kurz zuvor wurde dem Newsportal tag24.de ein Whatsapp-Protokoll zugespielt, das 11FREUNDE einsehen konnte. In dem Chat diskutieren Mitarbeiter des Klubs am Tag vor dem Spiel gegen Altglienicke über die Zeremonie. Nur der Pressesprecher äußert anfangs Zweifel, ob Haller diesen Rahmen bekommen sollte. Der Sicherheitsbeauftragte glaubt: „Wir können das steuern.“ Auch die Fanbeauftragte Peggy Schellenberger, die für die SPD im Stadtrat sitzt, hat keine Bedenken: „Wir müssen gut abgestimmt auf Medien-Anfragen reagieren. Aber Thommy hat das jetzt mehr als verdient!!!“
So wie Schellenberger erklären sich später viele Fans. Haller, so sagen sie, sei stets freundlich und hilfsbereit gewesen. Seine politischen Ansichten seien doch Privatsache. Anfang 2007 erklärte Thomas Haller in der Fußballzeitschrift „Rund“, dass „HooNaRa“ eine Gruppe sei, die für das „Grobe im Stadion“ verantwortlich sei. Jeder wisse über ihn: „Der macht keinen Spaß. Der holt mich noch in drei Wochen zu Hause vom Nachtschrank.“ Der CFC musste reagieren und kündigte dessen Sicherheitsfirma. Auch „HooNaRa“ löste sich in jener Zeit auf. Aber was bedeutete das schon? „Wir sind nicht mehr aktiv“, sagte Haller damals. „Andererseits sind wir in einer halben Stunde da.“ Selbst heute noch hört man bei Rechtsrockkonzerten und einschlägigen Fightabenden „HooNaRa“-Gesänge.
„Haller und seine Leute waren immer da, nach ‚HooNaRa‘ hießen sie nur anders, und wenn Not am Mann war, sprangen sie sogar wieder als Ordner ein“, sagt Hanka Kliese, eine 38-jährige SPD-Politikern, die früher selbst für den CFC aktiv war. Sie hielt schon zum Verein, als er noch FC Karl-Marx-Stadt hieß und im Europapokal gegen Juventus Turin spielte. Nach der Haller-Ehrung schrieb sie auf Facebook ihre Enttäuschung auf. Unter ihren Post setzte sie den Hashtag #nichtmehrmeinverein. Nun sitzt sie in einem Imbiss unweit des Bahnhofs. Über Chemnitz spricht sie wie über eine Liebe, die nicht erwidert wird. Sie machte hier Abitur und studierte an der TU, sie hängt an der Stadt, vor ein paar Jahren ist sie sogar aus Berlin zurückgekehrt, um die Dinge zum Guten zu verändern. Aber es ist ein Kampf gegen Wagenburgen und Stiernacken. Einmal wurde das Vorderrad ihres Autos manipuliert, ein anderes Mal verklagte Haller sie auf Unterlassung, weil sie ihn einen Nazi genannt hatte. Schizophren natürlich, denn der Name „Hooligans, Nazis, Rassisten“ lässt wenig Interpretationsspielraum. So sah es auch das zuständige Gericht und wies die Klage ab.
„Seelenfänger schleichen um den Block“
„Er hat das jetzt mehr als verdient!!!“ Was hatte Klieses Parteigenossin, die CFC-Fanbeauftragte Peggy Schellenberger damit gemeint? Kliese schaut nachdenklich. Er soll engagiert gewesen sein, ein treuer Fan, und bei den Heimspielen benahmen sich die Gästefans. Mit „HooNaRa“ und Hallers Security – das wussten Dortmunder, Dresdener, Hamburger – legte man sich besser nicht an. Haller selbst sagte: „Wir haben Chemnitz in einer gewissen Szene zu hohem Ansehen verholfen.“ Damals, Anfang der Neunziger, als alles hier ausweglos schien. Als so viele Menschen ohne Job waren. Immerhin mit den Fäusten waren die Chemnitzer die Besten. Das also war sein Verdienst.
„Kennen Sie den Song ‚Grauer Beton‘ von Ronny Trettmann?“, fragt Hanka Kliese. Der sei im Grunde der Soundtrack ihrer Generation. Es geht darin um die Wirren der Nachwendezeit, in der so vieles möglich schien, aber sich eigentlich nichts bewegte in dieser Stadt. „Man hat uns vergessen Anfang der neunziger Jahre“, singt der Chemnitzer HipHop-Künstler an einer Stelle. Und im Refrain: „Seelenfänger schleichen um den Block und machen Geschäft mit der Hoffnung. Fast hinter jeder Tür lauert ’n Abgrund.“
Am Montag, den 18. März, ziehen knapp 1000 Menschen zu Hallers Beisetzung in Altchemnitz. Unter den Trauernden sind bekannte Neonazis wie Michael Regener, ehemals Frontmann der verbotenen Gruppe Landser. Außerdem kondolieren AfDund NPD-Politiker, Mitglieder der verbotenen Kameradschaft „Nationale Sozialisten Chemnitz“ und der Fangruppe „Kaotic“.
Begleitet werden die Trauergäste von Polizisten, Journalisten und linken Aktivisten. Auch Robert Claus beobachtet den schwarzen Mob. Der Rostocker Ethnologe hat 2017 ein Standardbuch zum Thema Hooligans veröffentlicht. Für ihn war klar, dass die rechte Hooliganszene Hallers gedenken würde. Dass der Verein diese Aufführung tolerierte und einzelne Mitarbeiter sie sogar unterstützten, hat ihn aber überrascht. Nun sagt er: „Chemnitz hat das Problem von rechtsextremen Fans und Hooligans zwar nicht exklusiv. Was sie aber beinahe exklusiv haben, ist leider eine sehr naive Umgangsart mit diesem Thema.“ Und offenbar auch ein fehlendes Problembewusstsein. Vergangenes Jahr im Oktober moderierte Claus in Erfurt eine DFB-Fachtagung zum Thema Rechtsextremismus, speziell für Vereine der dritten und vierten Liga. Fanarbeiter zahlreicher Klubs tauschten sich vor Ort aus, vom CFC kam niemand. Dabei hat der Verein seit Jahrzehnten dringend Hilfe nötig, vermutlich mehr als jeder andere Verein in Deutschland. Die rechtsextremen Vorfälle ziehen sich wie der einzige rote Faden durch die Vereinsgeschichte. 2006 etwa zeigten Chemnitzer Fans aus dem Umfeld der „NS Boys“ – „NS“ steht angeblich für „New Society“ – bei einem Spiel auf St. Pauli rote Fahnen mit leeren weißen Kreisen, die fehlenden Hakenkreuze konnte man sich dazudenken. Schon in jener Zeit war Peggy Schellenberger die Fanbeauftragte, und ihre damalige Reaktion auf den Vorfall war nicht viel anders als der Umgang der aktuellen Vereinsführung mit der Causa Haller. „Diese Anhänger fahren nur auswärts mit, wenn sie sich eine Bühne versprechen“, sagte sie nach dem Spiel am Millerntor. Bei Heimspielen habe man keine Probleme mit Neonazis, Politik gehöre nicht ins Stadion.
Dabei sprach selbst ein CFC-Spieler die unbequeme Wahrheit aus. Yakubu Adamu, ein Nigerianer, der zwischen 2005 und 2008 in Chemnitz spielte, sagte der „Frankfurter Rundschau“: „Die Rassisten sind immer da, das ist Alltag.“ Dynamo Dresdens Stürmer Mickaël Poté musste das 2012 erfahren, als er von CFC-Fans mit Affenrufen beschimpft wurde.
Hooliganforscher Claus erinnert sich besonders an einen Fall von 2008, als bei einem Heimspiel gegen Türkiyemspor Berlin 40 Personen aus der Chemnitzer „HooNaRa“-Szene ein rotes Shirt trugen, auf dem „Wieder mal kein Tor für Türkiyemspor“ stand. Kein altbackener Fußballreim, sondern der Titel eines rassistischen Songs der Gruppe Landser, in dem es heißt: „Die ganzen scheiß Kanaken stinken wie die Pest“. Ein Jahr später traf Claus, der damals als Pressesprecher bei Türkiyemspor arbeitete, sogar auf Haller. Der Neonazi schien irritiert, weil ein offensichtlich gebürtiger Deutscher bei einem Migrantenklub arbeitete: „Ich dachte, bei euch sind nur Kanaken!“

Typen wie Haller und Gruppen wie „HooNaRa“ gibt es auch in anderen deutschen Fankurven. „Aber in Chemnitz fehlt das Gegengewicht“, sagt Claus. Im Stadion von Lok Leipzig etwa, wo ebenfalls lange rechtsextreme Gruppen das Sagen hatten, gründete sich vor einiger Zeit eine linke Ultragruppe namens „Fankurve 1966“. Am wichtigsten aber ist, dass Lok offensiv mit seinen eigenen Problemen nach außen geht. Als im vergangenen Jahr ein Lok-Jugendtrainer seine Mannschaft zu einem Hitlergruß animierte, machte der Verein den Vorfall selbst öffentlich und entließ den Trainer.
In Chemnitz inszeniert man sich in den Tagen nach dem Haller-Eklat lieber als Opfer einer medialen Hetzjagd. Ist der Klub auf dem rechten Auge wirklich blind? Oder ist er einfach ein Spiegelbild der Stadtgesellschaft in Chemnitz?
Chemnitz sei kein fremdenfeindlicher Ort, sagen viele Gesprächspartner, dafür sorgen Initiativen wie „Chemnitz ist bunt!“ oder die linke Szene um das Alternative Jugendzentrum. Und als Hooligans im Sommer 2018 mit dem Schlachtruf „Wir sind Fans, Adolf Hitler Hooligans!“ durch die Straßen zogen, riefen viele Chemnitzer zu Gegendemonstrationen auf. Die Band Kraftklub organisierte ein Festival mit den Toten Hosen, und sogar der CFC zeigte Flagge. Auf dem Mannschaftsbus prangte der Satz: „Chemnitz ist weder grau noch braun“.
Das ist die eine Geschichte. Die andere aber erzählt von einer Stadt, in der es sich Rechtsextreme gutgehen lassen können. Bei der Bundestagswahl 2017 wurde die AfD zweitstärkste Partei in der Stadt. Mit 24,3 Prozent lag sie nur 0,6 Punkte hinter der CDU. Die rechtsextremen Netze sind engmaschiger als in anderen deutschen Großstädten. Es war kein Zufall, dass der NSU in Chemnitz mehrere Jahre untertauchen konnte, Unterstützter des Terrortrios, etwa André Eminger oder Ralf Marschner, standen in Kontakt mit Hallers „HooNaRa“. In der Stadt gibt es eine große Rechtsrockszene, das Label PC-Records ist hier mit einem Ladengeschäft ansässig, und die lokalen Hooligans gelten als Free-Fight-Pioniere in Deutschland. Das alles bildet sich auch im Umfeld des Chemnitzer Fußballs ab, erklärt der Verfassungsschutz auf Nachfrage. Es gebe dort eine überdurchschnittlich hohe Schnittmenge zwischen gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremismus.
Im Stadion sind die Ultras Chemnitz 99 tonangebend. Eine Gruppe, die „HooNaRa“ im Fanzine „Blickpunkt Ultra“ schon mal Respekt ausgesprochen hat und es absurd findet, dass man Kritik an der öffentlichen Trauerzeremonie für Haller übt. Am Beispiel von UC99 zeigt sich außerdem, wie kurz die Wege und eng die Netzwerke in Chemnitz sind. Als ein „taz“-Autor 2008 über eine Verbindung zu den „NS Boys“ berichten wollte, drohte ihm einer der Ultras. Heute ist dieser Ultra Redakteur bei der „Chemnitzer Morgenpost“. Auf eine Anfrage antwortet er nicht.
Am Fuße des Stadtteils Sonnenberg, in dem auch der CFC sein Stadion hat, betreibt Lars Fassmann das „Lokomov“, eine Bar im Vintage-Schick, die man auch in Berlin-Neukölln finden könnte. Vor drei Jahren versuchte die Gruppe „Rechtes Plenum“, das Viertel einzunehmen. Sie beschmierten die rissigen und verwaisten Häuser mit Neonazi-Parolen, „Sieg Heil“, „NS jetzt“, im Internet erklärten sie das Viertel zum „Nazi-Kiez“. Fassmann, der eigentlich Software-Entwickler ist und Immobilien in der Gegend besitzt, hat versucht, den grauen Beton bunt zu machen. Das passte nicht allen. Fassmann klappt seinen Laptop auf und zeigt Bilder von zerstörten Fensterscheiben seiner Läden. Botschaften für einen, der keinen Bock auf Nazis hatte. Hallers Ansage soll gelautet haben: „Mit uns gibt es keinen Ärger. Wenn ihr aber eine andere Sicherheitsfirma beauftragt, können wir für nichts garantieren.“
Ein Clubbetreiber, der anonym bleiben möchte, bestätigt, dass er einst ein politisch unbedenkliches Unternehmen aus einer anderen Stadt buchte. Danach wurde sein Laden mit Eiern beworfen. Vermutlich war Haller auch deshalb so präsent. An einem Tag machte er den Ordnerdienst beim Stadtfest, am zweiten bei einer Veranstaltung der Zeitung „Freie Presse“, am dritten stellte er ein paar Jungs für Rechtsrockshows in der Provinz ab. Und heute scheint es, dass selbst sein Tod nicht das Ende dieser Muskelspiele und Territorialkämpfe bedeutet: Mitte März tauschte der CFC seinen Ordnerdienst aus, Anfang April kommt es vor einer Kneipe zu einer blutigen Schlägerei zwischen CFC-Fans und Sicherheitsleuten der neuen Firma.
Anderthalb Kilometer nördlich des „Lokomov“ befindet sich das Stadion an der Gellertstraße. Am 23. März findet hier das erste Heimspiel nach dem Trauervorfall statt. Der Verein hat sich Mühe gegeben, dass es heute gegen Budissa Bautzen schick aussieht. Im Fanshop unter der Haupttribüne können die Besucher Gratis-T-Shirts mit dem Slogan „Toleranz, Weltoffenheit und Fairness“ abholen. Die Sonne strahlt, der Himmel scheint chemnitzblau. Eigentlich gute Voraussetzungen, trotzdem herrscht eine Mischung aus Katerstimmung und Wut vor. Sponsoren haben sich zurückgezogen, auch der Trikotsponsor Sparkasse. Der Verein hat Mitarbeiter entlassen, unter anderem die Fanbeauftragte Peggy Schellenberger.
Wie soll es hier nun weitergehen? Wird aus der Kultur des Wegschauens eine des Hinsehens? Der CFC antwortet per E‑Mail doch noch auf einen Fragenkatalog, den wir geschickt hatten. Darin gibt Thomas Sobotzik, Vorstandsmitglied des Klubs, erstaunlich deutlich zu: „Die harte Fanszene des CFC steht offen am rechten Rand.“ Auf die Frage, ob Politik ins Stadion gehöre, schreibt er: „Wenn es Politik ist, sich gegen Rechtsradikalismus zu wehren, habe ich sehr gerne Politik im Stadion.“
„Rassismus bekämpfen du musst!“
Zum Spiel gegen Bautzen sind wichtige Personen aus dem Fußball angereist, neben DFB-Vize Rainer Koch ist auch Sachsens Verbandspräsident Hermann Winkler da. Der Leipziger CDU-Politiker hatte mal in der „Super Illu“ mit einer Koalition von AfD und CDU geliebäugelt, um einer „linken Republik“ entgegenzusteuern. Nun sagt er: „Wir müssen den Chemnitzern helfen, wir dürfen sie nicht alleine lassen.“ Und dann: „Wir werden wachsam nach Links- und Rechtsaußen gucken.“ Auch so ein Satz, den man hier immer wieder hört. Und bei dem das Problem der Problembekämpfung oft schon losgeht.
Es bleibt also kompliziert in Chemnitz. Einfache Antworten findet man an diesem Nachmittag jedenfalls nicht. Die eine Geschichte folgt dem bekannten Narrativ: Die Ultras und Hooligans kommen erst zwölf Minuten nach Anpfiff in den Block. Sie solidarisieren sich mit den entlassenen Mitarbeitern. Als Daniel Frahn nach dem 1:0‑Sieg den Platz verlässt, fragt ihn ein MDR-Reporter nach einem Interview. Der Stürmer lehnt ab: „Mit euch rede ich nicht. Ihr habt schlecht berichtet.“ Unser Fotograf steht derweil vor der Kurve, um ein Foto zu machen. Aus hunderten Kehlen schreit es: „Lügenpresse! Lügenpresse!“ Etwa 30 Toleranz-Shirts liegen zerrissen vor der Kurve.
Aber man kann die Geschichte auch anders enden lassen. Denn einige Zuschauer pfeifen die Ultras aus. Männer und Frauen in den Fünfzigern in beigen Funktionsjacken, einige haben sich die Gratis-Shirts angezogen. Es sind auch Kinder hier, Jugendliche, Studenten. Und auf einem Wellenbrecher klebt ein Sticker mit einem Satz im Yoda-Duktus: „Rassismus bekämpfen du musst!“
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