Rechts unten 11FREUNDE

December 2024 · 14 minute read

Diese Repor­tage stammt aus 11FREUNDE #210, die im April 2019 erschien.

In der Nacht des 3. Oktober 1999 war Patrick Thürmer auf dem Heimweg von einem Musik­fes­tival, als er im säch­si­schen Hohen­stein-Ernst­thal von drei Män­nern über­fallen wurde. Sie machten damals in ihrem Auto Jagd auf Punks. Mit einem Axt­stiel und einem Bil­lard­queue fügten sie dem schmäch­tigen Maler­lehr­ling aus Chem­nitz töd­liche Kopf­ver­let­zungen zu. Erst am nächsten Morgen fanden ihn Pas­santen. Am 10. März 2019 wäre Patrick Thürmer 37 Jahre alt geworden.

Einen Tag zuvor, am 9. März 2019, erheben sich im Chem­nitzer Sta­dion an der Gel­lert­straße 4000 Men­schen zu einer Schwei­ge­mi­nute. Im Hin­ter­grund läuft Musik aus dem Film Gla­diator“, die Ultras rollen ein Trans­pa­rent mit einem Kreuz aus. Aber sie gedenken nicht Thür­mers. Sie trauern um einen Fan, der unter der Woche an Krebs gestorben ist. Sein Name: Thomas Haller. Gründer der Gruppe Hoo­NaRa“, kurz für Hoo­li­gans, Nazis, Ras­sisten“, von der min­des­tens ein Mit­glied in jener Okto­ber­nacht 1999 an der Jagd auf Thürmer betei­ligt war. Aber nicht nur die Fans hul­digen Haller, auch Ver­eins­mit­ar­beiter und Spieler. Der Sta­di­on­spre­cher ver­liest einen Text, und als Stürmer Daniel Frahn später im Spiel gegen Alt­glie­nicke ein Tor erzielt, hält er der Süd­kurve ein T‑Shirt mit der Auf­schrift Sup­port your local Hools“ ent­gegen.

In den Tagen danach stellen sich viele Beob­achter die Frage, warum in einem Sta­dion offen eines Nazis gedacht wird. Die Tages­themen berichten über den Vor­fall, und die Zeit“ titelt Wieder Chem­nitz“, denn schon ein halbes Jahr zuvor war die Stadt Schau­platz von rechten Aus­schrei­tungen gewesen. Im August 2018 wurde ein Deutsch-Kubaner auf dem Stadt­fest ersto­chen, mut­maß­lich von einem Iraker. Danach mobi­li­sierte die CFC-Gruppe Kaotic“ zu Demons­tra­tionen, die in Hetz­jagden auf Migranten mün­deten.

Aber warum pas­siert so etwas immer wieder in Chem­nitz? Wieso haben Vor­fälle dieser Art Tra­di­tion beim CFC? Und unter­nimmt eigent­lich jemand etwas dagegen? Dar­über möchte 11FREUNDE mit den Klub­ver­ant­wort­li­chen reden. Aber der CFC blockt erst einmal ab. Wagen­burg statt Aus­ein­an­der­set­zung. Also beginnt die Reise nach rechts unten woan­ders, bei den Fans, die unter Haller und seiner Entou­rage leiden mussten und lange geschwiegen haben. Sie führt zurück bis in die Wen­de­zeit. Und man kann jetzt schon sagen: Sie hat kein Happy End.

Es war normal, sie im Sta­dion zu sehen. Ihre Bru­ta­lität war legendär.“

Max und Franz sind zwei lang­jäh­rige CFC-Fans. Eigent­lich heißen sie anders, aber sie wollen anonym bleiben. Vor über zwanzig Jahren haben sie hautnah mit­be­kommen, wie die Hoo­NaRa“ beim CFC ein Klima der Angst eta­blierte, das bis heute nach­wirkt. Zwei Tage nach dem Spiel gegen Alt­glie­nicke ver­öf­fent­li­chen die beiden in einem Fan­blog einen Text: Das war nicht irgend­eine Trau­er­feier für einen Anhänger des CFC“, schreiben sie. Das war viel mehr, und keiner kann sich davon frei machen, nichts gewusst zu haben.“

Ende der Neun­ziger, sagt Max, habe er Haller und seine Leute zum ersten Mal bei Heim­spielen wahr­ge­nommen. Damals stellte der Hoo­ligan, ein gelernter Flei­scher, mit seiner Firma Haller Secu­rity“ den Ord­ner­dienst. Immer die fet­testen und absto­ßendsten Typen mit Runen­schrift und ein­deu­tiger Gesin­nung“, sagt Max. Es war normal, sie im Sta­dion zu sehen. Ihre Bru­ta­lität war legendär.“ Ein paar Mal haben sie auch ihn ver­prü­gelt. Ver­mut­lich waren wir Nor­malos ihre Auf­bau­gegner.“ Max’ Bruder, damals Punk und eben­falls Anhänger des Ver­eins, verlor bald die Lust, neben sol­chen Typen eine Fuß­ball­mann­schaft anzu­feuern. Max aber ging weiter ins Sta­dion, anfangs ins Sport­forum, dann in die Gel­lert­straße, will­kommen fühlte er sich nur selten. Die mussten gar nicht direkt drohen, ihre Prä­senz reichte“, sagt er. Und dann fallen zwei Sätze, die man so oder ähn­lich bei den Recher­chen häu­figer hört: Haller und seine Truppe konnten schalten und walten, weil der Ost­bürger eher zum Still­halten erzogen worden war“, sagt Max, und sein Kumpel Franz ergänzt: Viele wollten nach der Wende mit Politik nichts mehr zu tun haben.“

Eine erste Vor­stel­lung, was die beiden damit meinen, bekommt man vier Tage nach dem Eklat. Chem­nitz tritt beim BFC Dynamo an. Es ist einer der unge­müt­lichsten Tage des Jahres, Regen fegt schräg über die Tri­büne des Ber­liner Jahn­sport­parks. Nach 90 Minuten steht es 2:1 für die Ber­liner, eine kleine Über­ra­schung, denn Chem­nitz hat bis­lang die Regio­nal­liga Nordost domi­niert. Auf der Pres­se­kon­fe­renz fragt man also, ob die Gescheh­nisse der letzten Tage die Spieler belastet haben. Prompt ent­steht Unruhe im Saal. Breit­schult­rige Männer raunen von der Seite: Warum poli­ti­siert ihr alles?“ Einer zischt: Was soll diese Idio­ten­frage?“ Es ist nur eine Moment­auf­nahme, aber sie sagt einiges dar­über aus, wie viele Fuß­ball­ver­eine, nicht nur der Chem­nitzer FC, mit kon­flikt­träch­tigen Themen umgehen. Die Devise lautet auch hier: Still­halten. Denn Fuß­ball ist Fuß­ball, sagen sie, und Politik ist Politik.

Einen Tag darauf äußern sich die füh­renden Mit­ar­beiter des CFC auf einer denk­wür­digen Pres­se­kon­fe­renz doch. Klaus Siemon, seit Früh­jahr 2018 Insol­venz­ver­walter bei den finan­ziell gebeu­telten Chem­nit­zern, erklärt, dass der Klub von Teilen der Fan­szene erpresst worden sei. An den Gescheh­nissen beim Spiel gegen Alt­glie­nicke trage der Verein dem­nach keine Schuld. Auf kri­ti­sche Nach­fragen des MDR reagiert Siemon genervt. Er möchte hier und jetzt einen Schluss­strich ziehen. Zurück zum Sport. Aber das ist nicht so ein­fach, denn seine Bedro­hungs­these steht auf wacke­ligen Füßen. Kurz zuvor wurde dem News­portal tag24​.de ein Whatsapp-Pro­to­koll zuge­spielt, das 11FREUNDE ein­sehen konnte. In dem Chat dis­ku­tieren Mit­ar­beiter des Klubs am Tag vor dem Spiel gegen Alt­glie­nicke über die Zere­monie. Nur der Pres­se­spre­cher äußert anfangs Zweifel, ob Haller diesen Rahmen bekommen sollte. Der Sicher­heits­be­auf­tragte glaubt: Wir können das steuern.“ Auch die Fan­be­auf­tragte Peggy Schel­len­berger, die für die SPD im Stadtrat sitzt, hat keine Bedenken: Wir müssen gut abge­stimmt auf Medien-Anfragen reagieren. Aber Thommy hat das jetzt mehr als ver­dient!!!“

So wie Schel­len­berger erklären sich später viele Fans. Haller, so sagen sie, sei stets freund­lich und hilfs­be­reit gewesen. Seine poli­ti­schen Ansichten seien doch Pri­vat­sache. Anfang 2007 erklärte Thomas Haller in der Fuß­ball­zeit­schrift Rund“, dass Hoo­NaRa“ eine Gruppe sei, die für das Grobe im Sta­dion“ ver­ant­wort­lich sei. Jeder wisse über ihn: Der macht keinen Spaß. Der holt mich noch in drei Wochen zu Hause vom Nacht­schrank.“ Der CFC musste reagieren und kün­digte dessen Sicher­heits­firma. Auch Hoo­NaRa“ löste sich in jener Zeit auf. Aber was bedeu­tete das schon? Wir sind nicht mehr aktiv“, sagte Haller damals. Ande­rer­seits sind wir in einer halben Stunde da.“ Selbst heute noch hört man bei Rechts­rock­kon­zerten und ein­schlä­gigen Figh­t­a­benden HooNaRa“-Gesänge.

Haller und seine Leute waren immer da, nach Hoo­NaRa‘ hießen sie nur anders, und wenn Not am Mann war, sprangen sie sogar wieder als Ordner ein“, sagt Hanka Kliese, eine 38-jäh­rige SPD-Poli­ti­kern, die früher selbst für den CFC aktiv war. Sie hielt schon zum Verein, als er noch FC Karl-Marx-Stadt hieß und im Euro­pa­pokal gegen Juventus Turin spielte. Nach der Haller-Ehrung schrieb sie auf Face­book ihre Ent­täu­schung auf. Unter ihren Post setzte sie den Hashtag #nicht­mehr­mein­verein. Nun sitzt sie in einem Imbiss unweit des Bahn­hofs. Über Chem­nitz spricht sie wie über eine Liebe, die nicht erwi­dert wird. Sie machte hier Abitur und stu­dierte an der TU, sie hängt an der Stadt, vor ein paar Jahren ist sie sogar aus Berlin zurück­ge­kehrt, um die Dinge zum Guten zu ver­än­dern. Aber es ist ein Kampf gegen Wagen­burgen und Stier­na­cken. Einmal wurde das Vor­derrad ihres Autos mani­pu­liert, ein anderes Mal ver­klagte Haller sie auf Unter­las­sung, weil sie ihn einen Nazi genannt hatte. Schi­zo­phren natür­lich, denn der Name Hoo­li­gans, Nazis, Ras­sisten“ lässt wenig Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum. So sah es auch das zustän­dige Gericht und wies die Klage ab.

See­len­fänger schlei­chen um den Block“

Trettmann

Er hat das jetzt mehr als ver­dient!!!“ Was hatte Klieses Par­tei­ge­nossin, die CFC-Fan­be­auf­tragte Peggy Schel­len­berger damit gemeint? Kliese schaut nach­denk­lich. Er soll enga­giert gewesen sein, ein treuer Fan, und bei den Heim­spielen benahmen sich die Gäs­te­fans. Mit Hoo­NaRa“ und Hal­lers Secu­rity – das wussten Dort­munder, Dres­dener, Ham­burger – legte man sich besser nicht an. Haller selbst sagte: Wir haben Chem­nitz in einer gewissen Szene zu hohem Ansehen ver­holfen.“ Damals, Anfang der Neun­ziger, als alles hier aus­weglos schien. Als so viele Men­schen ohne Job waren. Immerhin mit den Fäusten waren die Chem­nitzer die Besten. Das also war sein Ver­dienst.

Kennen Sie den Song Grauer Beton‘ von Ronny Trett­mann?“, fragt Hanka Kliese. Der sei im Grunde der Sound­track ihrer Gene­ra­tion. Es geht darin um die Wirren der Nach­wen­de­zeit, in der so vieles mög­lich schien, aber sich eigent­lich nichts bewegte in dieser Stadt. Man hat uns ver­gessen Anfang der neun­ziger Jahre“, singt der Chem­nitzer HipHop-Künstler an einer Stelle. Und im Refrain: See­len­fänger schlei­chen um den Block und machen Geschäft mit der Hoff­nung. Fast hinter jeder Tür lauert n Abgrund.“

Am Montag, den 18. März, ziehen knapp 1000 Men­schen zu Hal­lers Bei­set­zung in Alt­chem­nitz. Unter den Trau­ernden sind bekannte Neo­nazis wie Michael Regener, ehe­mals Front­mann der ver­bo­tenen Gruppe Landser. Außerdem kon­do­lieren AfDund NPD-Poli­tiker, Mit­glieder der ver­bo­tenen Kame­rad­schaft Natio­nale Sozia­listen Chem­nitz“ und der Fan­gruppe Kaotic“.

Begleitet werden die Trau­er­gäste von Poli­zisten, Jour­na­listen und linken Akti­visten. Auch Robert Claus beob­achtet den schwarzen Mob. Der Ros­to­cker Eth­no­loge hat 2017 ein Stan­dard­buch zum Thema Hoo­li­gans ver­öf­fent­licht. Für ihn war klar, dass die rechte Hoo­li­gan­szene Hal­lers gedenken würde. Dass der Verein diese Auf­füh­rung tole­rierte und ein­zelne Mit­ar­beiter sie sogar unter­stützten, hat ihn aber über­rascht. Nun sagt er: Chem­nitz hat das Pro­blem von rechts­extremen Fans und Hoo­li­gans zwar nicht exklusiv. Was sie aber bei­nahe exklusiv haben, ist leider eine sehr naive Umgangsart mit diesem Thema.“ Und offenbar auch ein feh­lendes Pro­blem­be­wusst­sein. Ver­gan­genes Jahr im Oktober mode­rierte Claus in Erfurt eine DFB-Fach­ta­gung zum Thema Rechts­extre­mismus, spe­ziell für Ver­eine der dritten und vierten Liga. Fan­ar­beiter zahl­rei­cher Klubs tauschten sich vor Ort aus, vom CFC kam nie­mand. Dabei hat der Verein seit Jahr­zehnten drin­gend Hilfe nötig, ver­mut­lich mehr als jeder andere Verein in Deutsch­land. Die rechts­extremen Vor­fälle ziehen sich wie der ein­zige rote Faden durch die Ver­eins­ge­schichte. 2006 etwa zeigten Chem­nitzer Fans aus dem Umfeld der NS Boys“ – NS“ steht angeb­lich für New Society“ – bei einem Spiel auf St. Pauli rote Fahnen mit leeren weißen Kreisen, die feh­lenden Haken­kreuze konnte man sich dazu­denken. Schon in jener Zeit war Peggy Schel­len­berger die Fan­be­auf­tragte, und ihre dama­lige Reak­tion auf den Vor­fall war nicht viel anders als der Umgang der aktu­ellen Ver­eins­füh­rung mit der Causa Haller. Diese Anhänger fahren nur aus­wärts mit, wenn sie sich eine Bühne ver­spre­chen“, sagte sie nach dem Spiel am Mill­erntor. Bei Heim­spielen habe man keine Pro­bleme mit Neo­nazis, Politik gehöre nicht ins Sta­dion.

Dabei sprach selbst ein CFC-Spieler die unbe­queme Wahr­heit aus. Yakubu Adamu, ein Nige­rianer, der zwi­schen 2005 und 2008 in Chem­nitz spielte, sagte der Frank­furter Rund­schau“: Die Ras­sisten sind immer da, das ist Alltag.“ Dynamo Dres­dens Stürmer Mickaël Poté musste das 2012 erfahren, als er von CFC-Fans mit Affen­rufen beschimpft wurde.

Hoo­lig­an­for­scher Claus erin­nert sich beson­ders an einen Fall von 2008, als bei einem Heim­spiel gegen Tür­ki­y­em­spor Berlin 40 Per­sonen aus der Chem­nitzer HooNaRa“-Szene ein rotes Shirt trugen, auf dem Wieder mal kein Tor für Tür­ki­y­em­spor“ stand. Kein alt­ba­ckener Fuß­ball­reim, son­dern der Titel eines ras­sis­ti­schen Songs der Gruppe Landser, in dem es heißt: Die ganzen scheiß Kanaken stinken wie die Pest“. Ein Jahr später traf Claus, der damals als Pres­se­spre­cher bei Tür­ki­y­em­spor arbei­tete, sogar auf Haller. Der Neo­nazi schien irri­tiert, weil ein offen­sicht­lich gebür­tiger Deut­scher bei einem Migran­ten­klub arbei­tete: Ich dachte, bei euch sind nur Kanaken!“

Typen wie Haller und Gruppen wie Hoo­NaRa“ gibt es auch in anderen deut­schen Fan­kurven. Aber in Chem­nitz fehlt das Gegen­ge­wicht“, sagt Claus. Im Sta­dion von Lok Leipzig etwa, wo eben­falls lange rechts­extreme Gruppen das Sagen hatten, grün­dete sich vor einiger Zeit eine linke Ultra­gruppe namens Fan­kurve 1966“. Am wich­tigsten aber ist, dass Lok offensiv mit seinen eigenen Pro­blemen nach außen geht. Als im ver­gan­genen Jahr ein Lok-Jugend­trainer seine Mann­schaft zu einem Hit­ler­gruß ani­mierte, machte der Verein den Vor­fall selbst öffent­lich und ent­ließ den Trainer.

In Chem­nitz insze­niert man sich in den Tagen nach dem Haller-Eklat lieber als Opfer einer medialen Hetz­jagd. Ist der Klub auf dem rechten Auge wirk­lich blind? Oder ist er ein­fach ein Spie­gel­bild der Stadt­ge­sell­schaft in Chem­nitz?

Chem­nitz sei kein frem­den­feind­li­cher Ort, sagen viele Gesprächs­partner, dafür sorgen Initia­tiven wie Chem­nitz ist bunt!“ oder die linke Szene um das Alter­na­tive Jugend­zen­trum. Und als Hoo­li­gans im Sommer 2018 mit dem Schlachtruf Wir sind Fans, Adolf Hitler Hoo­li­gans!“ durch die Straßen zogen, riefen viele Chem­nitzer zu Gegen­de­mons­tra­tionen auf. Die Band Kraft­klub orga­ni­sierte ein Fes­tival mit den Toten Hosen, und sogar der CFC zeigte Flagge. Auf dem Mann­schaftsbus prangte der Satz: Chem­nitz ist weder grau noch braun“.

Das ist die eine Geschichte. Die andere aber erzählt von einer Stadt, in der es sich Rechts­extreme gut­gehen lassen können. Bei der Bun­des­tags­wahl 2017 wurde die AfD zweit­stärkste Partei in der Stadt. Mit 24,3 Pro­zent lag sie nur 0,6 Punkte hinter der CDU. Die rechts­extremen Netze sind eng­ma­schiger als in anderen deut­schen Groß­städten. Es war kein Zufall, dass der NSU in Chem­nitz meh­rere Jahre unter­tau­chen konnte, Unter­stützter des Ter­ror­trios, etwa André Eminger oder Ralf Marschner, standen in Kon­takt mit Hal­lers Hoo­NaRa“. In der Stadt gibt es eine große Rechts­rock­szene, das Label PC-Records ist hier mit einem Laden­ge­schäft ansässig, und die lokalen Hoo­li­gans gelten als Free-Fight-Pio­niere in Deutsch­land. Das alles bildet sich auch im Umfeld des Chem­nitzer Fuß­balls ab, erklärt der Ver­fas­sungs­schutz auf Nach­frage. Es gebe dort eine über­durch­schnitt­lich hohe Schnitt­menge zwi­schen gewalt­be­reiten Hoo­li­gans und Rechts­extre­mismus.

Im Sta­dion sind die Ultras Chem­nitz 99 ton­an­ge­bend. Eine Gruppe, die Hoo­NaRa“ im Fan­zine Blick­punkt Ultra“ schon mal Respekt aus­ge­spro­chen hat und es absurd findet, dass man Kritik an der öffent­li­chen Trau­er­ze­re­monie für Haller übt. Am Bei­spiel von UC99 zeigt sich außerdem, wie kurz die Wege und eng die Netz­werke in Chem­nitz sind. Als ein taz“-Autor 2008 über eine Ver­bin­dung zu den NS Boys“ berichten wollte, drohte ihm einer der Ultras. Heute ist dieser Ultra Redak­teur bei der Chem­nitzer Mor­gen­post“. Auf eine Anfrage ant­wortet er nicht.

Am Fuße des Stadt­teils Son­nen­berg, in dem auch der CFC sein Sta­dion hat, betreibt Lars Fass­mann das Lokomov“, eine Bar im Vin­tage-Schick, die man auch in Berlin-Neu­kölln finden könnte. Vor drei Jahren ver­suchte die Gruppe Rechtes Plenum“, das Viertel ein­zu­nehmen. Sie beschmierten die ris­sigen und ver­waisten Häuser mit Neo­nazi-Parolen, Sieg Heil“, NS jetzt“, im Internet erklärten sie das Viertel zum Nazi-Kiez“. Fass­mann, der eigent­lich Soft­ware-Ent­wickler ist und Immo­bi­lien in der Gegend besitzt, hat ver­sucht, den grauen Beton bunt zu machen. Das passte nicht allen. Fass­mann klappt seinen Laptop auf und zeigt Bilder von zer­störten Fens­ter­scheiben seiner Läden. Bot­schaften für einen, der keinen Bock auf Nazis hatte. Hal­lers Ansage soll gelautet haben: Mit uns gibt es keinen Ärger. Wenn ihr aber eine andere Sicher­heits­firma beauf­tragt, können wir für nichts garan­tieren.“

Ein Club­be­treiber, der anonym bleiben möchte, bestä­tigt, dass er einst ein poli­tisch unbe­denk­li­ches Unter­nehmen aus einer anderen Stadt buchte. Danach wurde sein Laden mit Eiern beworfen. Ver­mut­lich war Haller auch des­halb so prä­sent. An einem Tag machte er den Ord­ner­dienst beim Stadt­fest, am zweiten bei einer Ver­an­stal­tung der Zei­tung Freie Presse“, am dritten stellte er ein paar Jungs für Rechts­rock­shows in der Pro­vinz ab. Und heute scheint es, dass selbst sein Tod nicht das Ende dieser Mus­kel­spiele und Ter­ri­to­ri­al­kämpfe bedeutet: Mitte März tauschte der CFC seinen Ord­ner­dienst aus, Anfang April kommt es vor einer Kneipe zu einer blu­tigen Schlä­gerei zwi­schen CFC-Fans und Sicher­heits­leuten der neuen Firma.

Andert­halb Kilo­meter nörd­lich des Lokomov“ befindet sich das Sta­dion an der Gel­lert­straße. Am 23. März findet hier das erste Heim­spiel nach dem Trau­er­vor­fall statt. Der Verein hat sich Mühe gegeben, dass es heute gegen Budissa Bautzen schick aus­sieht. Im Fan­shop unter der Haupt­tri­büne können die Besu­cher Gratis-T-Shirts mit dem Slogan Tole­ranz, Welt­of­fen­heit und Fair­ness“ abholen. Die Sonne strahlt, der Himmel scheint chem­nitz­blau. Eigent­lich gute Vor­aus­set­zungen, trotzdem herrscht eine Mischung aus Kater­stim­mung und Wut vor. Spon­soren haben sich zurück­ge­zogen, auch der Tri­kot­sponsor Spar­kasse. Der Verein hat Mit­ar­beiter ent­lassen, unter anderem die Fan­be­auf­tragte Peggy Schel­len­berger.

Wie soll es hier nun wei­ter­gehen? Wird aus der Kultur des Weg­schauens eine des Hin­se­hens? Der CFC ant­wortet per E‑Mail doch noch auf einen Fra­gen­ka­talog, den wir geschickt hatten. Darin gibt Thomas Sobotzik, Vor­stands­mit­glied des Klubs, erstaun­lich deut­lich zu: Die harte Fan­szene des CFC steht offen am rechten Rand.“ Auf die Frage, ob Politik ins Sta­dion gehöre, schreibt er: Wenn es Politik ist, sich gegen Rechts­ra­di­ka­lismus zu wehren, habe ich sehr gerne Politik im Sta­dion.“

Ras­sismus bekämpfen du musst!“

Zum Spiel gegen Bautzen sind wich­tige Per­sonen aus dem Fuß­ball ange­reist, neben DFB-Vize Rainer Koch ist auch Sach­sens Ver­bands­prä­si­dent Her­mann Winkler da. Der Leip­ziger CDU-Poli­tiker hatte mal in der Super Illu“ mit einer Koali­tion von AfD und CDU gelieb­äu­gelt, um einer linken Repu­blik“ ent­ge­gen­zu­steuern. Nun sagt er: Wir müssen den Chem­nit­zern helfen, wir dürfen sie nicht alleine lassen.“ Und dann: Wir werden wachsam nach Links- und Rechts­außen gucken.“ Auch so ein Satz, den man hier immer wieder hört. Und bei dem das Pro­blem der Pro­blem­be­kämp­fung oft schon los­geht.

Es bleibt also kom­pli­ziert in Chem­nitz. Ein­fache Ant­worten findet man an diesem Nach­mittag jeden­falls nicht. Die eine Geschichte folgt dem bekannten Nar­rativ: Die Ultras und Hoo­li­gans kommen erst zwölf Minuten nach Anpfiff in den Block. Sie soli­da­ri­sieren sich mit den ent­las­senen Mit­ar­bei­tern. Als Daniel Frahn nach dem 1:0‑Sieg den Platz ver­lässt, fragt ihn ein MDR-Reporter nach einem Inter­view. Der Stürmer lehnt ab: Mit euch rede ich nicht. Ihr habt schlecht berichtet.“ Unser Foto­graf steht der­weil vor der Kurve, um ein Foto zu machen. Aus hun­derten Kehlen schreit es: Lügen­presse! Lügen­presse!“ Etwa 30 Tole­ranz-Shirts liegen zer­rissen vor der Kurve.

Aber man kann die Geschichte auch anders enden lassen. Denn einige Zuschauer pfeifen die Ultras aus. Männer und Frauen in den Fünf­zi­gern in beigen Funk­ti­ons­ja­cken, einige haben sich die Gratis-Shirts ange­zogen. Es sind auch Kinder hier, Jugend­liche, Stu­denten. Und auf einem Wel­len­bre­cher klebt ein Sti­cker mit einem Satz im Yoda-Duktus: Ras­sismus bekämpfen du musst!“

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